Hannover Messe: KI-Forschung für die Produktion von morgen

Intelligente Produktion und neue Geschäftsmodelle: Künstliche Intelligenz hat für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie eine entscheidende Bedeutung. Im Spitzencluster it‘s OWL entwickeln sechs Forschungseinrichtungen gemeinsam mit mehr als 100 Unternehmen praxisnahe Lösungen für den Mittelstand. Auf dem OWL-Gemeinschaftsstand hätten über 40 Aussteller Anwendungen in den Bereichen Maschinendiagnose, vorausschauende Wartung, Prozessoptimierung und Robotik gezeigt.

Prof. Dr. Roman Dumitrescu (Geschäftsführer it‘s OWL Clustermanagement GmbH und Direktor Fraunhofer IEM) erläutert: „Unsere Forschungseinrichtungen sind international führend in den Bereichen maschinelles Lernen, kognitive Assistenzsysteme und Systems Engineering. An unseren vier Hochschulen und zwei Fraunhofer-Einrichtungen arbeiten rund 350 Forscherinnen und Forscher in über 100 Projekten daran, Künstliche Intelligenz für Anwendungen in der industriellen Wertschöpfung nutzbar zu machen. Mit it‘s OWL bringen wir dieses Expertenwissen in die Praxis. In 2020 werden wir drei neue strategische Initiativen im Umfang von 50 Millionen Euro auf den Weg bringen, in denen wir die Potenziale für KI in der Produktion, in der Produktentstehung und in der Arbeitswelt für den Mittelstand erschließen.“

In der Initiative ‚KI-Marktplatz‘ erarbeiten beispielsweise 20 Forschungseinrichtungen und Unternehmen gemeinsam eine digitale Plattform für Künstliche Intelligenz in der Produktentstehung, auf der sich Anbieter, Nutzer und Experten vernetzen und Lösungen entwickeln können. Im Kompetenzzentrum ‚KI in der Arbeitswelt des industriellen Mittelstands‘ machen 25 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft Erkenntnisse zur Arbeitsgestaltung im Kontext von KI für Unternehmen nutzbar.

Lernende Maschinendiagnose und ‚SmartBox‘ zur Prozessoptimierung

Das Institut für industrielle Informationstechnik der Technischen Hochschule OWL präsentiert auf der Messe beispielsweise neue Ergebnisse für die intelligente Maschinendiagnose. Anhand eines Drehstrommotors wird gezeigt, wie durch Lernalgorithmen und Informationsfusion Zustände technischer Systeme sicher identifiziert, vorhergesagt und visualisiert werden. In Zeitreihensignalen versteckte Muster und Informationen werden gelernt und dem Anwender verständlich aufbereitet. Ungenauigkeiten und Unsicherheiten in einzelnen Sensoren werden durch konfliktreduzierende Informationsfusion gelöst. So können beispielweise Motoren als Sensoren verwendet werden und innerhalb eines Netzwerks mit Sensoren und anderen Datenquellen in Produktionsanlagen den „Gesundheitszustand“ messen und Störungsursachen über KI analysieren. So kann der Ausschuss reduziert und Materialien bis zu 20 Prozent eingespart werden.

Die ‚SmartBox‘ des Fraunhofer IOSB-INA in Lemgo ist eine universell einsetzbare Lösung, die auf der Basis von PROFI-NET-Daten Anomalien in Prozessen unterschiedlichster Produktionsumgebungen identifiziert. Die Lösung benötigt keine Konfiguration und erlernt das Prozessverhalten. Zahlreiche Unternehmen haben die ‚SmartBox‘ in den Bereichen Automotive, Logistik und Produktion bereits erfolgreich erprobt. Die Anwendungen zeigten, dass die Produktivität einer Anlage mit der Fraunhofer-Lösung zwischen fünf und acht Prozent gesteigert und die Kosten für die Identifizierung von Produktionsmängeln erheblich reduziert werden können.

Mit Retrofitting-Lösungen des Instituts können Unternehmen Maschinen und Anlagen im Bestand ohne großen Investitionsaufwand fit für Industrie-4.0-Anwendungen machen. Das Spektrum reicht vom mobilen Produktionsdatenerfassungssystem im Kofferformat für Potentialstudien bis zu permanent installierbaren Nachrüstlösungen. Die Basis dafür sind intelligente Sensorsysteme, Cloud-Anbindungen sowie maschinelle Lernverfahren zur Datenanalyse. So können Prozesse optimiert und mehr Transparenz, Kontrolle, Planbarkeit, Sicherheit und Flexibilität in der Produktion erreicht werden. Auf der Hannover Messe zeigt Fraunhofer IOSB-INA eine Retrofitting-Anwendung mit einer 30 Jahre alten Standbohrmaschine. Die erfassten Produktionsdaten werden durch eine zusätzliche Applikation zur Mensch-Maschine-Interaktion visualisiert.

Kognitive Robotik und Selbstheilung in autonomen Systemen

Das Institut für Kognition und Robotik (CoR-Lab) der Universität Bielefeld präsentiert ein kognitives Robotiksystem für eine hochflexible Industrieproduktion. Am Beispiel einer automatisierten Klemmenmontage im Schaltschrankbau werden die Potenziale der modellgetriebenen Software- und Systementwicklung für die kognitive Robotik demonstriert. Dazu werden maschinelle Lernverfahren für die Umgebungswahrnehmung und Objekterkennung, automatisierte Planungsalgorithmen und modellbasierte Bewegungskontrollen in ein Robotiksystem integriert. Der Zellenbediener wird dabei in die Lage versetzt, unterschiedliche Montageaufgaben unter Verwendung wiederverwendbarer und zusammensetzbarer Aufgabenblöcke durchzuführen. Dafür muss er die Details der Software und Hardware, mit denen die Aufgabe realisiert wird, nicht kennen. Verfahren sind leicht auf andere Anwendungsfälle der robotergestützten Montage sowie der Be- und Entladung von Maschinen übertragbar.

Das Forschungsprojekt „KI für autonome Systeme“ des Software Innovation Campus Paderborn der Universität Paderborn und des Fraunhofer IEM zielt darauf ab, Selbstheilungseigenschaften autonomer technischer Systeme auf den Prinzipien natürlicher Immunsysteme zu erreichen. Dazu müssen Anomalien zur Laufzeit detektiert und die zugrundeliegenden Ursachen eigenständig diagnostiziert werden. Anhand der Lokalisierung gilt es, Verhaltensanpassungen zur Wiederherstellung der Funktion zu planen und umzusetzen. Darüber hinaus müssen die Sicherheit der Systeme jederzeit gewährleistet und die Systemverlässlichkeit erhöht werden. Dazu müssen Methoden der künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens sowie biologisch inspirierte Algorithmen kombiniert werden. Anwendungsbereiche sind beispielsweise Smart Factory, autonomes Fahren oder unbemannte Luftfahrzeuge. Auf dem OWL Gemeinschaftsstand können Messebesucher an einem Demonstrator erleben, wie an einer Maschine eigenständig Störungen im Betriebsablauf erkannt und Maßnahmen zur Selbstheilung eingeleitet werden.

Prozessoptimierung und Wertschöpfungsnetze

Wie Künstliche Intelligenz Lösungsansätze zur Optimierung der Wertschöpfungskette liefert, stellt eine Modellfabrik des Center for Applied Data Science (CfADS) der FH Bielefeld dar. Die Fabrik zeigt, wie Komponenten, die zu Produkten mit unterschiedlichen Ausprägungen und einer unterschiedlichen Produktionstiefe in der Fabrik gefertigt werden sollen, in den Produktionskreislauf eingeschleust und ausgelagert werden, sodass die gesamte Produktionszeit minimiert wird. Dabei wird dynamisch auf neue Kundenanfragen reagiert und weitere Restriktionen, wie beispielsweise der jeweilige Ausliefertermin, berücksichtigt. Die Optimierung der Wertschöpfungskette in der Modellfabrik basiert auf ereignisdiskreten Modellen, an Hand derer ein systematischer Steuerungsentwurf abgeleitet wird. Die Steuerung stellt die Schnittstelle zwischen der physikalischen Ebene und der KI-Ebene dar, wobei ein Supervisor die Befehle zwischen der KI-Ebene und der Steuerungsebene koordiniert.

Zudem präsentiert das CfADS einen Waschtisch der Bio-Circle Surface Technology GmbH und zeigt damit exemplarisch wie die Implementierung eines cloudbasierten Service zur intelligenten Einbettung von IoT-Devices in existierende Geschäftsprozesse dargestellt werden kann. Die Benutzung und die Befüllung des Waschtisches mit Liquid (Reinigungsmittel) werden im Rahmen des Exponats simuliert. Dabei werden die vom Waschtisch gesendeten Daten auf einem ML-/Applikation-Server verarbeitet und über eine Web-Applikation visuell aufbereitet.

Wartung vereinfachen und digitaler Zwilling

Im Rahmen des Projekts BOOST 4.0, der größten europäischen Initiative für Big Data in der Industrie, arbeitet it´s OWL mit 50 Partnern aus 16 Ländern an unterschiedlichen Anwendungsszenarien für Big Data in der Produktion. Bei einer Produktionslinie des Automobilzulieferers BENTELER liegt der Fokus auf Predictive Maintenance: Dank systematischer Erfassung und Auswertung von Maschinendaten einer hydraulischen Presse und einer Materialfördereinrichtung ist es möglich, Muster im Produktionsprozess zu erkennen. Das Fraunhofer IEM hat dafür mithilfe von intelligenten Algorithmen ein Vorgehensmodell für die Implementierung von vorausschauender Instandhaltung entwickelt. Mit Erfolg: In den letzten zwei Jahren konnte die Vorhersage von Maschinenausfällen durch maschinelle Lernverfahren entscheidend verbessert werden. Die Durchschnittszeit für Reparaturen konnte bisher um mehr als 30% gesenkt werden, eine weitere Reduzierung um 30% ist zu erwarten. Auch die Anzahl der Maschinenausfälle konnte erheblich verringert werden. So ist die Durchschnittszeit zwischen den Ausfällen mittlerweile sechsmal so lang ist wie früher. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Gesamtanlageneffektivität bis zum Projektende um 5 Prozent gesteigert werden kann. An einem Modell der Produktionslinie können Messebesucher Datenerfassung, Datenströme und die Funktionsweise von Data Analytics nachverfolgen.

Der digitale Zwilling ist eine wichtige Voraussetzung, um die Potenziale zur Steigerung von Effizienz und Produktivität in allen Phasen des Maschinen-Life-Cycles zu erhöhen. In einem it’s OWL Projekt arbeiten Unternehmen und Forschungseinrichtungen an der technischen Infrastruktur für digitale Zwillinge. Bedingt durch die Interoperabilität wird der Zugriff auf die digitalen Beschreibungen und Teilmodelle von Maschinen, Produkten und Betriebsmitteln sowie deren Interaktion über den gesamten Lebenszyklus ermöglicht. Dabei werden Anforderungen aus den Bereichen Energie- und Fertigungstechnik sowie existierende Industrie-4.0-Standards und IT-Systeme berücksichtigt. Dadurch können voraussichtlich Einsparpotenziale von über 50 Prozent realisiert werden. Gemeinsam zeigen Lenze und Phoenix Contact auf dem Gemeinschaftsstand anhand typischer Maschinenmodule, wie durch digitale Zwillinge herstellerübergreifend Informationen zwischen Komponenten, Maschinen, Visualisierungen und digitalen Diensten ausgetauscht werden. Die Interoperabilität beweist erstmals, wie aus der Kombination von Daten sinnvolle Informationen mit Mehrwert für unterschiedliche Anwendergruppen entstehen. So können beispielsweise Maschinenbediener und Instandhalter Anomalien erkennen und Hinweise zur Fehlerbehebung erhalten.

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