KI-Kooperation über den Atlantik zeigt erste Früchte

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine Schlüsseltechnologie, um Industrie 4.0 umzusetzen und bietet gerade dem produzierenden Gewerbe viele Chancen. Das hat man im Spitzencluster it’s OWL schon lange erkannt und daher bereits 2018 ein Projekt angestoßen, um internationale Kooperationspartner für Innovationen auf diesem Gebiet zu finden. Das Ergebnis sind drei Wissenschafts- und Industriekooperationen, die KI-Lösungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Vor rund einem Jahr gestartet, können die Akteur:innen bereits einige Erfolge vorweisen.

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen stehen immer wieder vor der Herausforderung das Thema KI in der Produktion für sich zu strukturieren und systematisch anzugehen. Die Einführung solcher Verfahren birgt für die Unternehmen oftmals große Hürden und wirft viele Fragen auf: Welche Algorithmen eignen sich für eine Anwendung? Wie können diese im Unternehmen implementiert werden? Wie werden notwendige Daten identifiziert und bereitgestellt?

ARISE: KI-Lösung für eine intelligente Produktionsplanung und -steuerung

Diese Herausforderung adressiert das Fraunhofer IEM in Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn, der Josef Schulte GmbH und den kanadischen Partnern, der University of British Columbia  seit April 2020 in dem Forschungsprojekt ARISE (Artificial Intelligence in der Produktionsplanung und –steuerung). Caroline Junker, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IEM erklärt: „Im Rahmen des Projektes entwickeln wir ein Vorgehen sowie Werkzeuge zur Planung und Umsetzung von KI in der Produktion. Auf der deutschen Projektseite wird dabei exemplarisch die Produktionsplanung betrachtet.“ Diese sei besonders von der zunehmenden Komplexität durch globale Trends wie Mass Customization betroffen und müsse außerdem mehrkriterielle Zielsetzungen berücksichtigen. Die manuelle Planung stößt dabei an ihre Grenzen. Hier kann eine Entscheidungsunterstützung durch Künstliche Intelligenz Abhilfe schaffen.

Entlang eines Referenzprozesses haben die Wissenschaftler:innen bereits Anwendungsfälle von KI in der Produktionsplanung identifiziert und mit Hilfe eines Reifegradmodells den Umsetzungsaufwand bewertbar gemacht. Darin wird ein Unternehmen anhand mehrerer Kriterien aus den Bereichen Digitalisierungs- und KI-Grundlagen dahingehend bewertet, wie gut es auf KI-Technologien vorbereitet ist. Weiterhin wurden Werkzeuge erarbeitet, mit denen nach Auswahl eines Anwendungsfalls das notwendige Domänenwissen systematisch erfasst und künftig in entsprechende Modellparameter für den Data Scientist übersetzt werden können.

 

Optimierter Materialfluss in der Produktion

Aktuell werden KI-Verfahren für die Reihenfolgeplanung in der Produktion ausgewählt. Eine Simulation der Produktionsprozesse ist Grundlage für das Training und Testen von lernenden KI-Modellen. Bei der Modellbildung und anschließenden Übertragung auf die realen Prozesse kommen neben der Expertise des Fraunhofer IEM und der Universität Paderborn auch die Expertise der University of British Columbia zum Tragen.

„Durch die Entscheidungsunterstützung der Planungsprozesse stehen Unternehmen nun jederzeit Vorschläge für Auftragsreihenfolgen bereit, die die unterschiedlichen Zielkriterien berücksichtigen, eine effiziente Fertigung sicherstellen und einen optimalen Materialfluss mit geringeren Aufwänden ermöglichen.“, erklärt Junker den Mehrwert für Unternehmen.

its-3DL: Deep Learning für industrielle Robotiksysteme

Im April 2020 startete das Projekt „Integration of Deep-Learning into Distributed Intelligent Systems with Applications in Robotics and Computer Vision“ (it’s-3DL) mit dem Ziel, eine standardisierte Daten-Analyse-Plattform für industrielle Anwendungen im Kontext der Bildverarbeitung zu entwickeln. Dabei sollen verschiedene komplexe Deep-Learning-Module koordiniert und an einem konkreten Anwendungsfall umgesetzt werden.

In einem Anwendungsfall arbeiten das Fraunhofer IOSB-INA gemeinsam mit dem Unternehmen resolto daran, Klemmbausteine aus Kunststoff zu erkennen und zu klassifizieren. Anhand der Klassifizierung wird ein Produktionsprozess generiert, der aus den Klemmbausteinen Figuren erstellt, die durch einen digitalen Zwilling beschrieben sind. Ein Roboter unterstützt den Montageprozess und nutzt dabei die Erkenntnisse aus der Klassifizierung.

Nico Weskamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IOSB-INA erklärt das Vorgehen: „In unserem Anwendungsfall nutzen wir aktuell generierte Trainingsdaten, um das neuronale Netz daraufhin zu trainieren, dass es Steine erkennt und 2D Koordinaten sowie Klassen zu den Steinen liefert. Dabei ist die Pipeline  zwischen den Kameras, dem neuronalen Netz dem Roboter, der den Prozess auf Grundlage der Klassifizierung durchführt, nahezu abgeschlossen. Allerdings können wir bald von der Simulation auf den realen Demonstrator wechseln“. (siehe Abb. 1)

Abbildung 1: 3DL Demonstrator mit Roboter Kamera und Client Interface

IT-Architektur orchestriert Datenflüsse und ermöglicht die Steuerung von Prozessen

Neben dem eigentlichen Produktionsprozess wurde eine IT-Architektur entwickelt, die den Datenfluss zwischen den notwendigen Komponenten des Produktionsprozesses orchestriert. Diese Architektur setzt auf Industrie4.0-Standards wie OPC UA und die Verwaltungsschale. Über diese Architektur wird auch der Roboter angebunden, der sich bereits über das „Robot Operating System“ (ROS) steuern lässt. Die Plattform, die sich aus dieser Architektur ergibt, ermöglicht es, alle Produktionsprozesse automatisch zu steuern und nachzuverfolgen. Das Zusammenspiel der Services zeigt Abbildung 2.

Abbildung 2: Übersicht der 3DL Plattform

Bis zur tatsächlichen Anwendung in der Praxis müssen die Partner noch einige Herausforderungen lösen:  „Zunächst müssen wir aus den 2D-Koordinaten der Steine 3D-Koordinaten berechnen, damit der Roboter die Steine greifen kann. Außerdem müssen Software-Komponenten entwickelt werden, die die Erstellung, Nachverfolgung und Speicherung der Digitalen Zwillinge ermöglicht.“, skizziert Weskamp. Darüber hinaus haben sich die Partner das Ziel gesetzt, Qualitätsmängel an den Steinen über Bilderkennung und Deep-Learning zu erkennen. Diesen erweiterten Anwendungsfall gilt es im weiteren Verlauf des Projektes umzusetzen. Doch schon jetzt zeichnen sich die Mehrwerte dieses Forschungsprojekts für die Industrie ab: Die Kombination von Deep-Learning und Industrie 4.0 ermöglicht es, Prozesse besser zu automatisieren und flexibler zu gestalten. Weiterhin können Unternehmen von Daten aus dem Produktionsprozess profitieren und diesen so immer weiter optimieren.

 

EASY: Intelligente Wartung für Produktionssysteme

Technische Produkte werden durch die Integration von Informations- und Automatisierungstechnik immer eigenständiger, flexibler und handlungsfähiger. Das kann für Maschinenbediener zur Herausforderung werden, wenn die Funktionen von Maschinen unvorhersehbar und unerklärlich sind. In diesem Projekt entwickeln das Fraunhofer IEM, düspohl Maschinenbau GmbH und encoway GmbH daher dezentrale Machine Learning (ML) Algorithmen für Embedded und Edge Devices.

„Wir betrachten insbesonderen zwei Anwendungsfälle die Vorhersage von Qualitätsmerkmalen von intelligenten Profilummantelungsmaschinen und die vorausschauende Wartung von ausfallkritischen Komponenten in fördertechnischen Anwendungen. Das können zum Beispiel Schlupf von Reibrädern und Antriebsriemen durch Verschleiß sein oder auch Schäden an Lagern und Getrieben“, erläutert Jan Michael vom Fraunhofer IEM. Die kanadischen Partner der University of British Columbia sowie des KI-Beratungsunternehmens NTWIST betrachten ähnliche Anwendungsfälle und konzentrieren sich auf Manufacturing Execution Systems, die auf Maschinellem Lernen beruhen.

Ein Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Umsetzung einer KI-Anwendung in verteilten, dezentralen Systemen unter Berücksichtigung von Ressourcenbeschränkungen. Als Grundlage dienen hier Daten, die mit Sensorsystemen erfasst und mithilfe von eingebetteten, echtzeitfähigen Datenanalysemethoden und Machine-Learning-Verfahren aufgewertet werden. Diese Daten sollen lokal in der Maschine oder der Komponente weiterverarbeitet werden und damit eine datenzentrierte Automation des Maschinen- und Anlagenbaus entwickelt werden.

Seit dem Projektstart im Oktober 2020 haben die Partner bereits erste Erfolge erzielt:

In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Düspohl hat das Fraunhofer IEM Anforderungen für den Use Case Predictive Quality analysiert und erarbeitet, welche die KI-basierte Voraussage der Ummantelungsqualität ermöglichen. Michael erklärt: „Wir konnten auch bereits unterschiedlichen KI-Frameworks und Methoden analysieren, die sich für diese Anwendung eignen werden“.

Im Rahmen des Use Cases Predictive Maintenance untersuchen das Fraunhofer IEM und encoway den Anwendungsfall von Regalbediengeräten. Hier wurden Sensoren ermittelt, die die Vibrationen an den identifizierten potenziell defekten Komponenten des Regalbediensystems erfassen und mit deren Hilfe zukünftig eine Wartungsvoraussage getroffen werden kann. Erste identifizierte Methoden und Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz sollen bei der Auswertung der Vibrationen und der Prädiktion unterstützen.

Auch auf der kanadischen Seite sind bereits erste Ergebnisse vorhanden. Es wurde systematisch der Stand der Technik im Bereich der intelligenten MES-Systeme analysiert, um die Bedarfe zu erarbeiten, die sich durch zukünftige Anwendungen in der Produktion ergeben. NTWIST und die UBC haben daraufhin bereits gemeinsam KI-Algorithmen untersucht, welche für diesen Anwendungsfall zum Erfolg führen.

Das besondere an der Kooperation: die Partner lernten sich erst kurz vor dem Projektstart während einer Delegationsreise kanadischer Unternehmen nach OWL kennen.

Für it’s OWL bedeuten alle drei Projekte eine wertvolle Ergänzung der Innovationsprojekte. „Wir haben schon viel Know-how in der Region. Durch internationale Kooperationen, wie mit der University of British Columbia und den kanadischen Unternehmenspartnern, schaffen wir Zugänge zu internationalem Wissen, das unseren Partnern einen echten Mehrwert in ihrer Wertschöpfung verschaffen kann.“, so das Zwischenfazit von Günter Korder, Geschäftsführer it’s OWL.

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