Lernen in technischen Berufen: Neue Technologien allein reichen nicht

Wie können Lernende in der technischen Ausbildung, etwa zur Bedienung einer Maschine, unterstützt werden? Augmented-Reality-Brillen bieten zwar interessante Potentiale, doch sie erhöhen nicht automatisch den Lernerfolg. Was hingegen zum Erfolg führt, hat das it’s OWL Projekt ‚Intelligente Assistenz für die technische Ausbildung (iAtA)‘ erarbeitet.

 

Der Ruf nach mehr Digitalisierung im Bildungs- und Ausbildungswesen ist ungebrochen. Doch die Faszination innovativer Technologien kann dazu verführen, eine rein technikzentrierte Perspektive einzunehmen. Eine Folge dieser Herangehensweise wäre zum Beispiel, Lernende mit neuesten Tablets oder AR-Brillen auszustatten, ohne dabei zu berücksichtigen, wie menschliches Lernen tatsächlich funktioniert.

Das Wissen solle einfach in die Gehirne der Lernenden übertragen werden. Das erinnert an die Legende vom ‚Nürnberger Trichter‘. Er steht für den passiven Wissenstransport ins Gehirn ohne eigene Anstrengung und kann nicht funktionieren – auch nicht in digitaler Form.  

Mediale Interaktivität und neue Technologien erhöhen nicht automatisch den Lernerfolg

Die lernerzentrierte Perspektive dagegen stellt die evidenzbasierte Forschung zu menschlichem Lehren und Lernen in den Fokus. Diese Forschung zeigt, dass neue Technologien und mediale Interaktivität nicht automatisch den Lernerfolg erhöhen. Letztendlich bedeutet Lernen ja nichts anderes, als durch aktive mentale Prozesse Informationen mit bereits vorhandenen Wissenselementen, also dem Vorwissen, zu verknüpfen. Diese tiefe Verarbeitung der Lerninhalte findet dabei nicht außerhalb, sondern immer innerhalb des menschlichen Arbeitsgedächtnisses statt.

Bei der Entwicklung von Lernumgebungen sollten daher die Eigenschaften der menschlichen Informationsverarbeitung berücksichtigt und die Technik daran angepasst werden. Dazu zählen konkret die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, die negativen Effekte geteilter Aufmerksamkeit, aber auch die enorme Bedeutung des Vorwissens und der tiefen Verarbeitung des Lernmaterials.  

Vorwissen und tiefe Verarbeitung: So können Laien besser Probleme lösen

Die große Rolle des Vorwissens für den Lernerfolg kann kaum überschätzt werden. Laien mit geringem Vorwissen lernen kaum etwas über das Lösen eines Problems, indem sie es selbst lösen sollen. Vielmehr wenden sie bestenfalls oberflächliche Lösungsstrategien an und sind damit schnell überfordert. Für den eigentlichen Lernprozess steht ihnen dann nicht mehr genügend mentale Kapazität zur Verfügung. Präsentiert man Laien dagegen gelöste Beispielprobleme, etwa in Form von Lehrvideos, in denen ein konkretes Problem schrittweise gelöst wird, können sie sich besser auf das Verstehen der Problemlösung konzentrieren (Renkl, 2015).   Lernerfolg stellt sich damit allerdings nicht automatisch ein.

Zentral ist, dass Lernende die Prinzipien hinter der Problemlösung auch wirklich tief verarbeiten. Die evidenzbasierte Forschung (Hefter, 2023) zeigt, dass Leitfragen (sogenannte Selbsterklärungsprompts) effektiv sind. Sie regen Lernende dazu an, sich den Lerninhalt selbst zu erklären und dadurch tief zu verarbeiten. Auch können zusätzliche Erklärungen, etwa bei fehlerhaften Selbsterklärungen, lernwirksam sein. Dagegen spielen unterschiedliche mediale Formate kaum ein Rolle. So zeigen experimentelle Vergleiche verschiedener medialer Formate von Lernmaterial (z.B. Videos, Texte, Comics), dass diese Formate zwar unterschiedliche Stärken haben (etwa bzgl. Lerntempo oder Authentizität), sie aber Lernprozesse und Lernerfolg selbst nicht beeinflussen – solange die tiefe Verarbeitung des Lernmaterials sichergestellt ist (Hefter et al., 2019).  

Lernen in der technischen Ausbildung

Wie kann die tiefe Verarbeitung von Lernmaterial in der technischen Ausbildung, etwa zur Bedienung einer Maschine, unterstützt werden? Hilft eher das Antizipieren oder das rückblickende Zusammenfassen von Arbeitsschritten? In unseren Studien gingen wir unter anderem dieser Frage nach. Dazu erstellten wir zunächst in Kooperation mit unseren Praxispartnern Lehrvideos.

In diesen Videos erklärt ein Auszubildender aus der Point-of-View-Perspektive die Bedienung einer Bohrmaschine. Die Videos ergänzten wir mit verschiedenen Leitfragen, die entweder zum Antizipieren oder Zusammenfassen der gezeigten Arbeitsschritte auffordern. Wir testeten die Wirkung dieser Leitfragen in einem experimentellen Setting, das Lernende zufällig den verschiedenen Leitfragen zuwies.  

Laien profitieren eher vom Zusammenfassen als vom Antizipieren

Unsere Auswertungen der Lernprozesse (Antworten auf die Leitfragen) sowie des Lernerfolgs (anschließender Test über die Inhalte) zeigten, dass Lernende ohne Vorwissen eher vom Zusammenfassen als vom Antizipieren profitieren. Diese Ergebnisse fließen in die Entwicklung eines Assistenzsystems im Innovationsprojekt iAtA (intelligente Assistenz für die technische Ausbildung) ein.  

Das Assistenzsystem im Projekt iAtA: Lernen mit AR

Das Assistenzsystem im Projekt iAtA soll lernrelevante Informationen über Augmented Reality (AR) vermitteln und damit die technische Ausbildung unterstützen. Für dieses Assistenzsystem erarbeiten wir derzeit gemeinsam mit unseren Praxis- und Forschungspartnern Lerneinheiten zur Inbetriebnahme eines Schaltkastens für Elektronik-Auszubildende. Über eine AR-Brille bekommen die Auszubildenden die notwendigen Arbeitsschritte direkt in ihr Sichtfeld eingeblendet.

Zusätzlich erhalten sie Begriffs- und Funktionserklärungen sowie Objektbezeichnungen. Unterstützt wird das Lernen mit den forschungserprobten Leitfragen. Das Assistenzsystem bietet vor allem zwei Potentiale. Zum einen ermöglicht die AR-Technik, dass Lernen und die Umsetzung des Gelernten direkt an der Maschine stattfinden. So können Auszubildende beispielsweise einen Arbeitsschritt unmittelbar nach dessen Vermittlung an der Maschine durchführen. Ebenso kann ein durch AR eingeblendeter Pfeil direkt auf ein vorhandenes Objekt zeigen und dieses erklären.

Zum anderen kann das Assistenzsystems seine Unterstützung an das Vorwissen der Lernenden anpassen: Bei stark ausgeprägtem Vorwissen werden Arbeitsschritte in zusammengefasster Form mit nur wenigen Erklärungen präsentiert. Dagegen werden bei nur wenig Vorwissen die Arbeitsschritte detaillierter präsentiert und ausführlicher erklärt. Zusammenfassend soll das Assistenzsystem unter Berücksichtigung des Vorwissens die tiefe Verarbeitung der Lerninhalte unterstützen. Entwickelt wird es auf Basis evidenzbasierter Forschung zu menschlichem Lehren und Lernen.  

Literaturangaben

Hefter, M. H. (2023). Web-based training and the roles of self-explaining, mental effort, and smartphone usage. Technology, Knowledge and Learning (28), 1079-1094. https://doi.org/10.1007/s10758-021-09563-w

Hefter, M. H., ten Hagen, I., Krense, C., Berthold, K., & Renkl, A. (2019). Effective and efficient acquisition of argumentation knowledge by self-explaining examples: Videos, texts, or graphic novels? Journal of Educational Psychology, 111(8), 1396–1405. https://doi.org/10.1037/edu0000350

Renkl, A. (2015). Different roads lead to Rome: The case of principle-based cognitive skills. Learning: Research and Practice, 1(1), 79-90. https://doi.org/10.1080/23735082.2015.994255  

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