Reifegradmodell hilft beim Einsatz von Process Mining

Organisationen wenden Process Mining auf denen durch Informationssysteme bereitgestellte Daten an, um Prozessmodelle zu entdecken, zu überprüfen und zu verbessern. Oft haben Unternehmen jedoch Hemmungen, Process Mining zu implementieren, da beispielsweise ein häufig unklarer Mehrwert und eine unsichere Informationslage bezüglich der Datenqualität vorliegen. Je nach Reifegrad des Unternehmens müssen technische und organisatorische Fähigkeiten zunächst etabliert oder ausgebaut werden. Aus diesem Grund hat sich das Team des Projektes BPM-I4.0 damit beschäftigt, ein Process Mining Reifegradmodell zu entwickeln, welches interdisziplinären Teams dabei hilft den Einsatz von Process Mining in Unternehmen zu planen, implementieren und managen.

Was ist eigentlich ein Reifegradmodell?

Ein Reifegradmodell ermöglicht es Organisationen, sich objektiv zu bewerten und Verbesserungspotentiale zu identifizieren. Dafür wird der zu analysierende Bereich der Organisation (hier bspw. die Reife für Process Mining) in verschiedene Handlungsfelder aufgeteilt, die wiederum einzelne Handlungselemente besitzen. Jedem Handlungselement sind Reifegradstufen zugeordnet, die eine eindeutige Einordung ermöglichen.

Damit die Reife des Unternehmens in Bezug auf eine bestimmte Domäne ermittelt werden kann, wird die betrachtete Domäne in verschiedene Faktoren unterteilt. Das Reifegradmodell strukturiert die zu betrachtenden Faktoren aus den Dimensionen Mensch, Organisation und Technik im Unternehmen und ordnet diesen eine Ausprägung zu. Diese sogenannten Elemente lassen sich anschließend einzelnen Reifegraden zuordnen, diese reichen von ihrer Initialisierung bis zur Optimierung.

Die hier vergebenen Reifegrade unterteilen verschiedene Fähigkeitsstufen im Bereich der Domäne des Reifegradmodells. So stehen beispielsweise im Kern der technischen Dimension IT-Systeme zur Abbildung von digitalen Prozessen. Beispielhaft für verschiedene Ausprägungen eines Aspektes sind die Verfügbarkeit und Herkunft digitaler Prozessdaten, sie könnten unter anderem automatisch generiert oder manuell erfasst worden sein. In der Dimension der Organisation hingegen, spielt die Durchgängigkeit von Prozessdaten sowie deren Verfügbarkeit über die Organisationsstruktur hinweg, eine Rolle.

Ein beispielhaftes Reifegradmodell ist das ‚Reifegradmodell Digitale Prozesse 2.0‚ der Bitkom. Es ermittelt im Allgemeinen, wie reif eine Organisation hinsichtlich digitaler Geschäftsprozesse ist. Dafür werden fünf Handlungsfelder mit je drei Handlungselementen genutzt. Ein Handlungsfeld ist Technologie, welches sich in die drei Handlungselemente Technologiebasis, Tools im Prozess und Systemintegration aufteilt. Jedes dieser drei Elemente kann mit einer Reife von ‚Nicht digital‘ bis ‚Vollständig digital‘ bewertet werden. Durch die Nutzung eines Reifegradmodelles ergibt sich für ein Unternehmen die Chance, eine Herausforderung von allen Seiten zu betrachten und einen bestimmten Unternehmensaspekt ganzheitlich und nachhaltig auszubauen.

Unternehmen sollen anhand des Reifegradmodells ihren eigenen Ist-Zustand definieren, indem die verfügbaren Elemente evaluiert werden. Die Ist-Bewertung dient anschließend dazu den Abstand zu einer Soll-Reife zu analysieren.

Entwicklung und Evaluation des Process Mining Reifegradmodells

Im Rahmen des Projektes wurde ein Reifegradmodell entwickelt, welches es Unternehmen erlaubt ihre Reife hinsichtlich des Einsatzes von Process Mining zu bestimmen. Dabei wird die Transformation ganzheitlich über die Dimensionen Mensch, Organisation und Technik betrachtet. Bei der Einstufung werden sowohl technische Voraussetzung als auch das Vorhandensein der notwendigen Fähigkeiten, die zur Anwendung und Weiterentwicklung von Process Mining geschaffen werden müssen, berücksichtigt. Durch den simplen Aufbau und die detaillierte Beschreibung der verschiedenen Reifegradstufen ist es jedem Unternehmen in OWL – egal ob KMU, Hidden Champion oder Global Player – gleichermaßen möglich, die notwendigen technischen und organisatorischen Fähigkeiten zu bewerten, identifizieren und schrittweise aufzubauen.  Durch die projektbegleitende Entwicklung und Evaluierung der Lösung anhand der Anwendungsfälle des Produktentstehungsprozesses (Weidmüller aus Detmold) sowie des Auftragsabwicklungsprozesses (GEA aus Oelde) wird sichergestellt, dass die Lösung praxistauglich ist und auf andere Unternehmen und Branchen übertragen werden kann. Für die Anwendung des Reifegradmodells werden Methoden zur systematischen Einordnung eines Unternehmens in das Modell entwickelt. Dazu werden vorhandene Informationen zum Beispiel aus der Prozess- und Domänenanalyse genutzt oder dedizierte Verfahren wie Interviews oder Fragebögen eingesetzt.

Vorstellung des BPM-I4.0 Process Mining Reifegradmodells

Das im Projekt entwickelte Process Mining Reifegradmodell besteht aus insgesamt fünf Handlungsfeldern, die sich in insgesamt 23 Handlungselemente aufteilen lassen. Die Abbildung gibt eine Übersicht über das entwickelte Process Mining Reifegradmodell mit seinen unterschiedlichen Handlungsfeldern und -elementen, sowie deren Definitionen.

Das umfassende Reifegradmodell mit detaillierten Beispielen und Beschreibungen für jeden Faktor, jedes Element und jede Reifegradstufe finden Sie hier: www.its-owl.de/process-mining-maturity-model

 

 

Der erste Faktor Organisation kombiniert Aspekte, die beschreiben, wie gut die Organisation Process Mining ermöglicht. Er besteht aus den sechs Elementen Purpose, Center of Excellence für Process Mining, Prozessbewusstsein, Data-Driven-Decision Making, Wandlungsfähigkeit und Methoden der Process Mining Projektphasen. Für an Process Mining interessierten Unternehmen ist vor allem das Element Purpose fundamental. Das Handlungselement thematisiert, wie vollständig die definierten Use Cases sind und ob eine langfristige Vision vorliegt, wie Process Mining das Unternehmen unterstützt.

Der zweite Faktor Datenausgangslage umfasst die drei Elemente Prozessorientierte IT-Systeme, Datenzugänglichkeit und Umfang der Daten. Die Idee ist, die zugrundeliegende IT- und Datenumgebung für Process Mining zu bewerten und nicht die Qualität von Ereignisprotokollen, die zuvor exportiert wurden.

Der dritte Faktor Wissen der Personen erklärt, wie gut die Mitarbeitenden innerhalb der Organisation Process Mining verstehen. Der Faktor kombiniert die sechs Elemente Umgang mit Process Mining Tools, Technische Rahmenbedingungen, Datenvorverarbeitung, Klassisches Data Mining, Process Mining Grundlagen und fortgeschrittene Anwendungsfälle. Die allgemeine Idee dieses Faktors ist, dass Process Mining eine vielfältige Wissensbasis mit Themen aus dem maschinellen Lernen, dem richtigen Umgang mit Werkzeugen, der Handhabung von Daten oder Process Mining spezifischen Algorithmen, Herausforderungen und Fallstricken erfordern kann.

Der vierte Faktor Umfang der Process Mining Anwendung umfasst, welche Process Mining Typen in welcher Intensität angewendet werden (das heißt wie viele Anwendungsfälle/Prozesse abgedeckt werden). Die Elemente Discovery, Analysis, Monitoring und Controlling sowie Advanced Application basieren auf den sechs Arten von Process Mining, wobei letzteres das vergleichende, prädiktive und handlungsorientierte Process Mining kombiniert. Dieser Faktor mit seinen Elementen wird in diesem Reifegradmodell verwendet, um die vielfältigen Möglichkeiten der Anwendung von Process Mining darzustellen. Darüber hinaus ermöglicht er es Organisationen, einen Schwerpunkt auf bestimmte Arten des Process Mining zu setzen.

Der letzte Faktor Governance umfasst die vier Steuerungselemente Methode und Tool Governance, Rollen und Verantwortlichkeiten, Process und Data Governance. Die Aufrechterhaltung groß angelegter Process Mining Aktivitäten erfordert bestimmte Regeln und Leitlinien. Die Governance strukturiert, welche Tools verwendet werden, wer für bestimmte Aufgaben rechenschaftspflichtig und verantwortlich ist und wer auf Prozesse und Daten zugreifen, sie ändern und aktualisieren darf.

Jedes der genannten Elemente weist fünf Reifegrade auf. Um die Komplexität des Modells zu verringern, versucht das Reifegradmodell, einem Muster über alle Reifegradstufen der Elemente zu folgen:

 

1. Initial: Die erste Stufe wird für nicht vorhandene Fähigkeiten oder undokumentierte Richtlinien verwendet.

2. Rudimentär: Die zweite Stufe beschreibt oft einen ersten Kontakt durch externes Fachpersonal oder unerprobte Praxis.

3. Eigenständig: Die dritte Stufe umfasst in der Regel das erste Pilotprojekt der Organisation selbst.

4. Systematisch: Die vierte Stufe führt wiederholbare Strukturen sowie Mechanismen zur ständigen Bewertung und Verbesserung des Reifegrads ein.

5. Optimierung: In der fünften Stufe werden in der Regel langfristige Visionen und Organisationsstrukturen (z. B. eine Data-Governance-Abteilung) eingeführt, die ganz auf die Erhaltung, Verbesserung und strategische Weiterentwicklung des Reifegrads ausgerichtet sind.

 

Um von einer Reifegradstufe zur nächsten aufzusteigen, muss jede darunter liegende Stufe erfüllt sein. Darüber hinaus bedarf es exponentiell größerer Anstrengungen, um von Stufe zu Stufe aufzusteigen.

Wenn Sie an unserem Quick-Check teilnehmen wollen und herausfinden wollen, wo Sie mit Process Mining stehen, können Sie auf den folgenden Link klicken: https://websites.fraunhofer.de/process-mining-readiness/index.php/194818?lang=de

Weitere Schritte

Nachdem nun das Reifegradmodell entwickelt und mit den Projektpartnern GEA und Weidmüller evaluiert wurde, sollen im nächsten Schritt, aufbauend auf der Reifegrad-Einordnung, Handlungsanweisungen abgeleitet und in Zusammenhang gebracht werden können. Dazu werden Methoden für das unternehmensindividuelle Roadmapping entwickelt. Ziel ist die Entwicklung eines Handlungsrahmens für die Unternehmenstransformation und Implementierung von Business Process Mining.

 

Ein Teil des Projektteams hat sich zum Abschluss des Jahres 2022 zu einem gemeinsamen Besuch des Paderborner Weihnachtsmarktes getroffen (v.l.n.r.): Dr. Martin Dräxler (Weidmüller), Kai Brinkmann (Weidmüller), Jonathan Brock (Fraunhofer IEM), Andreas Westermann (GEA), Reinhard Speith (GEA), Bernd Löhr (SICP), Katharina Brennig (SICP).

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