Expert-Talk: So optimiert Wilo mit KI die Intralogistik

Kommissionierzeiten vorhersagen und die Ressourcen in der Logistik optimal einsetzen: Einer der weltweit führenden Hersteller von Pumpen und Pumpensystemen für Wasserversorgung und Klimatechnik, Wilo, möchte mit Künstlicher Intelligenz seine Intralogistik optimieren. Wie das it’s OWL Projekt IMAGINE das Ziel unterstützt und wie das Unternehmen dabei mit dem Fraunhofer IOSB-INA zusammenarbeitet, erfahren Sie im Interview mit Lu-Ting Bao (Logistikplanung bei Wilo) und Kaja Balzereit (wissenschaftliche Mitarbeiterin Fraunhofer IOSB-INA).

 

Vor welchen Herausforderungen steht Wilo im Bereich der Intralogistik?

Lu-Ting Bao (Wilo): Die Intralogistik nimmt eine bedeutende Querschnittsfunktion innerhalb eines Unternehmens ein. Sie umfasst die Organisation, Steuerung, Durchführung und Optimierung des innerbetrieblichen Materialflusses, der Informationsströme sowie des Warenumschlags in der Industrie.

Mit dem Megatrend der Digitalisierung gehen häufige und schnelle Änderungen von Kundenanforderungen einher, die sich ihrerseits auf die Produktionsplanung und -steuerung auswirken. Dabei hat der im Rahmen des Produktionsprogramms gewählte Typ-Mengen-Mix einen signifikanten Einfluss auf den Ressourceneinsatz in der Intralogistik.

Derzeit werden wertvolle Potenziale und Ressourcen verschwendet.

Lu-Ting Bao (Wilo)

So führen zum Beispiel gewählte Losgrößen und geplante Rüstwechsel zu entsprechend hohen bzw. reduzierten Aufwänden in der Kommissionierung und in der Materialbereitstellung. Das Produktionsprogramm beeinflusst direkt die Auslastung des technischen Equipments und den erforderlichen Personaleinsatz. Derzeit werden die aufgezeigten Wirkzusammenhänge nicht ausreichend in der Auslegung des Produktionsprogramms berücksichtigt, wertvolle Potenziale und Ressourcen werden verschwendet. Darüber hinaus verursachen unerwartete Ereignisse (zum Beispiel verspätete/ausgefallene/beschädigte Anlieferungen im Wareneingang, Störungen in der Endmontage) ungeplante Anpassungen des Ressourcenaufwands in der Intralogistik. Diese Anpassungen erfordern in der Regel eine kurze Reaktionszeit und Umplanungen über die gesamte Wertschöpfungskette.

Wie kann Ihr Unternehmen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Herausforderungen lösen?

Lu-Ting Bao (Wilo): Aktuelle Entwicklungen im Bereich KI bieten neue Lösungsansätzen zum Managen der Komplexität. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei die verbesserte Nutzung und Auswertung bestehender Daten und Informationen. Im Projekt IMAGINE sollen Verfahren der KI genutzt werden, um die Intralogistik produzierender Unternehmen zu optimieren. Angestrebte Zielsetzungen für Wilo sind zusammenfassend die erweiterte Vorhersage von Kommissionierzeiten in Verbindung mit der Versorgung der Produktionslinien sowie die Optimierung des Ressourceneinsatzes in der Logistik.

Das it’s OWL Projekt bietet die Möglichkeit gemeinsam mit den Forschungs- und Unternehmenspartnern Methoden und Hilfsmittel zu erarbeitet, welche die Analyse der KI-Potentiale in der Intralogistik, die Zieldefinition sowie die Umsetzung von KI Anwendungen unterstützen.

 

Um KI-Potentiale in der Intralogistik aufzudecken, müssen die Forschenden ein Verständnis über die Prozesse und Daten des Unternehmens entwickeln. Wie geht das Fraunhofer IOSB-INA dabei vor?

Kaja Balzereit (Fraunhofer IOSB-INA): Das IOSB-INA hat sich bei der Annäherung an den Use-Case nach dem CRISP-DM Vorgehensmodell gerichtet. Dieses standardisierte Vorgehensmodell erlaubt es uns, Use Cases in transparenter Weise zu screenen. CRISP-DM sieht zunächst das Business Understanding vor, welches wir im regelmäßigen gemeinsamen Austausch mit Wilo aufgebaut haben. Anschließend erfolgte das Data Understanding, was durch eine Sichtung der Daten sowie erste Analysen (statistische Maße wie Mittelwert und Standardabweichung, Boxplots und Histogramme) erfolgte.

Bereits bei diesen Schritten konnten wir erste Einblicke in die darunter liegenden Prozesse erhalten. Anschließend haben wir uns mit der Datenvorverarbeitung beschäftigt. Diese sieht die Bereinigung und Transformation von Daten vor, um statistische Verfahren und maschinelles Lernen anwenden zu können. Anschließend konnten wir Regressionsverfahren anwenden, die Zusammenhänge in den Daten auf eine interpretierbare Art und Weise lernen. Durch das Lernen dieser Zusammenhänge wird zum einen ein tieferes Prozessverständnis erlangt und zum anderen eine Vorhersage der Kommissionierzeit zukünftiger Aufträge ermöglicht.

 

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Wilo und Fraunhofer IOSB-INA in der Praxis ab?

Kaja Balzereit (Fraunhofer IOSB-INA): Für die Umsetzung entwickelten Wilo und Fraunhofer IOSB-INA gemeinsam Python-Notebooks zur Extraktion von Merkmalen aus Daten auf Basis von SAP Extended Warehouse Management (EWM). Der Fokus liegt dabei auf SAP EWM-Lageraufgaben. Die damit verbundenen Logistikdaten ermöglichen eine Vorhersage der Kommissionierzeiten auf Basis von geplanten Produktionsaufträgen.

Der anfängliche Datensatz für den Lerninput besteht aus mehr als 300.000 Kommissionierzeiten sowie mehreren tausend Produktionsaufträgen, die von SAP ERP an SAP EWM weitergegeben wurden. Das maschinelle Lernmodell erstellt eine Zielfunktion, die die erwarteten Transportwagen, die zurückgelegten Entfernungen, die Anzahl der Rohmaterialien, die Art der Lagerplätze etc. berücksichtigt.

Für die intensivere Bearbeitung des Themenkonstrukts wurden Sprintmonate festgelegt, die im zweimonatigen Rhythmus stattfanden. Die Notebooks sind in Azure Databricks implementiert und nutzen Azure Cloud-Datenspeicher mit der Möglichkeit, alle ETL / ELT-Schritte mit Azure Data Factory zu orchestrieren und in Zukunft Daten direkt aus allen relevanten SAP-Systemen zu extrahieren.

Mit der Übergabe der Notebooks von Fraunhofer IOSB-INA an Wilo wurde der Arbeitsmodus zu einem Bi-Weekly umgestellt, so dass diese mit weiteren Datensätzen ergänzt werden können. Somit liegt nun die Anwendung sowie Evaluierung bei Wilo, während das Fraunhofer IOSB-INA hierbei sowie bei Fehlerbehebungen beratend unterstützt.

 

Welche Ziele verfolgt das Fraunhofer IOSB-INA über den Use Case hinaus?

Kaja Balzereit (Fraunhofer IOSB-INA): Mit der zunehmenden Menge an Daten, die gespeichert werden, ist auch der Bedarf an Verfahren, die aus diesen Daten Informationen ziehen, gestiegen. Versteckte Zusammenhänge in Daten auf nachvollziehbare Art und Weise zu gewinnen ist ein aktives Forschungsfeld.

Das Potential in diesem Bereich ist enorm, da detektierte Zusammenhänge den Einsatz vieler Verfahren der Künstlichen Intelligenz ermöglichen: So können Rückschlüsse über den Prozess gezogen werden, die dann den Einsatz von Optimierungsmethoden ermöglichen. Dabei versuchen moderne Optimierungsverfahren nicht nur ein einzelnes Zielkriterium zu optimieren, sondern adressieren meist eine Auswahl an Zielkriterien (Zeit, Kosten, optimale Auslastung, …). Dadurch entstehen ganzheitliche Lösungen, die möglichst viele Aspekte der Produktion berücksichtigen. Hier gibt es aus Forschungssicht allerdings noch einige Herausforderungen, die wir in Zukunft angehen werden.

 

Welche Anknüpfungspunkte sieht Wilo?

Lu-Ting Bao (Wilo): Durch den Einsatz fortschrittlicher Machine-Learning-Tools und einer breiten Datenbasis besteht die Möglichkeit, ein noch tieferes Verständnis für Prozesse zu gewinnen und neue Bereiche für eine Optimierung zu erschließen.

So kann durch die bereits gewonnenen Erkenntnisse und das Verständnis in Anwendung und Umsetzung der Notebooks weitere Potenziale in unterschiedlichen Bereichen festgestellt und die Problemstellung übermittelt werden. Ebenso müssen bereichsübergreifende Wirkzusammenhänge näher betrachtet und in den Prozessoptimierungen berücksichtigt werden.

Mehr zum Thema „Aus unseren Projekten“