Interview: So hilft KI bei der Optimierung der Supply Chain

Im Zuge der Digitalisierung ändert sich die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Partner:innen, Lieferant:innen und Kund:innen. Es ergibt sich eine steigende Anzahl globaler Partner:innen mit komplexen und ständig verändernden Beziehungen. Diese Zusammenhänge lassen sich zunehmend mit digitalen Daten abbilden. Die Analyse und Steuerung solcher Wertschöpfungsnetze ist eine Herausforderung für die Industrie. Im Projekt MOVE sollen Wertschöpfungsnetze digital abgebildet und analysiert werden. Wie das funktioniert, welche Herausforderungen für Unternehmen bestehen und wie KI bei der Optimierung von Wertschöpfungsnetzwerken helfen kann, darüber haben wir mit Felix Schreckenberg (Fraunhofer IML) gesprochen.

Im it’s OWL Projekt ‚MOVE‘ betrachten Sie die Herausforderungen, die innerhalb wertschöpfenden Netzwerken auftreten können. Welche Herausforderungen müssen sich Unternehmen konkret stellen?

Felix Schreckenberg: Unternehmen sehen sich immer mehr Herausforderungen ausgesetzt, die sie nur zum Teil selbst bewältigen können. Exemplarisch dafür zu nennen sind Engpässe bei bestimmten Bauteilen oder Rohstoffen. Aber schaut man auch auf die globale, geopolitische Lage und die bestehenden Problematiken, die mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen: Das alles sind Herausforderungen, die sowohl kleine als auch große Unternehmen aller Couleur treffen.

Weitere Herausforderungen sind beispielsweise die Zunahme bei der Anzahl und Abhängigkeit von verschiedenen Partnern in einem globalisierten Wertschöpfungsnetz, immer kürzer werdende Produktlebenszyklen oder auch steigende Unsicherheiten in globalen Märkten. Die Komplexität steigt selbstredend auch durch die Intransparenz über Wirkzusammenhänge innerhalb der Supply Chain. Nicht nur Prognosen über zukünftige Lieferzeiten oder baldige Produktabsätze, sondern auch die Bereitstellungsplanung von Materialien und Teilen, welches zu unnötigen Logistikvorgängen führt, werden durch diese Intransparenz verkompliziert.

Daten können in unterschiedlicher Art und Weise die Intransparenz in den davon betroffenen Wertschöpfungsnetzen reduzieren oder die Planung verbessern.

Glücklicherweise können in vielen Wertschöpfungsketten Daten genutzt und generiert oder Datenquellen dafür geschaffen werden. Daten können in unterschiedlicher Art und Weise die Intransparenz in den davon betroffenen Wertschöpfungsnetzen reduzieren oder die Planung verbessern. Dabei können Unternehmen auf datengetriebenen Methoden wie die Künstliche Intelligenz zurückgreifen, die auch in unserem Projekt eine zentrale Rolle spielen und dabei genutzt sowie weiterentwickelt werden.

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein aktuell viel beachtetes Themenfeld – vielleicht auch ein gern genutztes Schlagwort? Was können KI-Methoden in der Abbildung von Wertschöpfungsnetzen für einen Nutzen haben und wie werden sie im Projekt angewandt?

Felix Schreckenberg: Das stimmt wohl! KI ist ein sogenanntes Buzzword und steht für viele Menschen für „datengetriebene“ Methoden, aber versteckt eigentlich viel mehr als nur das: Mit Methoden der KI können wir Korrelationen und Zusammenhänge – zum Beispiel in Form von Mustern – in großen Datenmengen auffinden und nutzen. Beispielsweise können Prognosen damit schneller und gegebenenfalls besser erstellt werden. Das System, dass prognostiziert werden soll, ist zumeist in seinen Regeln und Zusammenhängen unbekannt. Diese können aber durch KI-Methoden identifiziert werden, sodass darauf aufbauend Prognosen über das Verhalten des Systems getroffen werden können. Das Schöne daran ist, dass bei KI-Methoden die impliziten Zusammenhänge und Muster in den Daten vom Algorithmus selbst herausgefunden werden. Diese Fähigkeit soll auch im Projekt zur Anwendung kommen: Beispielsweise zur Verbesserung der Absatzprognose oder der Lieferzeitprognose unter Berücksichtigung von Informationen aus einem anwenderspezifischen Wertschöpfungsnetz. Ein Muss für die KI-Nutzung ist allerdings eine große Datenmenge in einer ausreichenden Qualität, was oftmals ein Problem für Unternehmen darstellen kann.

Mit der Verknüpfung von Simulation und KI kann ein echter Mehrwert geschaffen werden.

Sollte Datenknappheit herrschen, kann eine andere Disziplin, nämlich die Simulation, als Datenlieferant genutzt werden. Simulationen können Szenarien oder Systeme realitätstreu abbilden. Sind Expertenwissen sowie Kenntnisse über Systemzusammenhänge und beschreibbare Regeln vorhanden, kann man sich genau diesen Umstand zu Nutze machen, indem man die Regeln – oder auch Parameter – explizit verändert und eine szenarienbasierte Vorhersage des Systemverhalten generiert und die daraus gewonnen Daten nutzt. Weiterhin benötigen Simulationen eine lange Rechenzeit, wobei die KI nützlich sein kann, indem mit ihren Verfahren Vorschläge für geeignete Szenarien generiert werden können. Der Umstand, dass Nachteile der Simulation mit Verfahren der KI und Nachteile der KI-Methoden mit der Simulation abgemindert werden können, macht dieses Forschungsgebiet so unglaublich spannend. Mit der Verknüpfung der beiden Disziplinen kann ein echter Mehrwert geschaffen werden.

 

Ist die Verknüpfung von Simulation und KI auch ein Thema bei MOVE?

Felix Schreckenberg: Auf jeden Fall. Ich bin bei einem Anwendungsfall beteiligt, bei dem nicht-optimale Begebenheiten innerhalb eines exemplarischen Wertschöpfungsnetzwerkes bzw. Handlungsempfehlungen hinsichtlich eines womöglich besseren Materialfluss identifiziert werden sollen. Dazu wird in erster Linie mit der Simulation Transparenz über das Verhalten der Supply Chain und die Auswirkungen auf die Teileverfügbarkeit und -nutzung generiert. Dabei wird unser hauseigenes Tool OTD-NET zur Simulation komplexer Wertschöpfungsnetzwerke eingesetzt, welches sowohl in Industrie- als auch in Forschungsprojekten erfolgreich genutzt wurde und stetig weiterentwickelt wird. Das Tool bietet Parameter – wie Kapazitäten, Durchlaufzeiten usw. –, mit denen man bestimmte Systemknoten wie Zulieferer, Werke oder Relationen beschreiben kann. Mit einer KI-Methode soll nun eine simulationsbasierte Optimierung aufgebaut werden, indem mit der Simulation realitätsnahe Daten erzeugt werden, die dann der KI-Methode zur Verfügung gestellt werden.

Wir erhoffen uns durch die Kopplung zwischen Simulation und KI, dass wir dem Anwendungsunternehmen dadurch Optimierungspotenziale innerhalb dessen Wertschöpfungsnetzwerk aufzeigen können.

Realitätsnah bedeutet hierbei auch, dass zum Beispiel Engpässe oder Störungen im Materialfluss mit dargestellt werden sollen. Die KI-Methode kann die jeweiligen Szenario-basierten Simulationsergebnisse miteinander vergleichen und somit Wirkzusammenhänge zwischen den Parametern finden und diese in Abhängigkeit zu einem zuvor aufgestellten Zielsystem optimieren. Diese Schritte werden so lange automatisiert durchgeführt, bis ein robustes Ergebnis generiert wurde. In unserem Fall wird die Simulation also als Datenlieferant genutzt, dessen Parametrisierung durch die KI-Methode auf Grundlage von Zielbedingungen und unter den Parametern herrschenden Wechselbedingungen bestimmt wurde. Wir erhoffen uns durch die Kopplung zwischen Simulation und KI, dass wir dem Anwendungsunternehmen dadurch Optimierungspotenziale innerhalb dessen Wertschöpfungsnetzwerk aufzeigen können.

 

Mit KI-Methoden zu optimiertem Supply Chain Management

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